Klarinettenmusik im Hamburger Westen: Harald Maihold


Die Klarinette - Interpreten

Hier ist nicht der Raum für eine enzyklopädische Aufzählung von Klarinetteninterpreten. Stattdessen will ich meine persönlichen Erinnerungen an Musikerinnen und Musiker schildern, die mir bei ihren Auftritten imponiert und mich inspiriert haben. Seit ich mit dem Klarinettenspiel angefangen habe, habe ich viele Konzerte mit Klarinette besucht.

 

Einige davon sind mir besonders im Gedächtnis geblieben:



Hamburger Laeiszhalle am Johannes-Brahms-Platz

Das erste Klarinettenkonzert, an das ich mich erinnere -  es muss 1988 oder 1989 in der Hamburger Laeiszhalle gewesen sein -, war eine Aufführung des Klarinettenkonzertes von Mozart mit Sabine Meyer, die mit ihren Aufnahmen der Konzerte von Mozart, Stamitz und Weber neue Maßstäbe gesetzt hat.


Ihr sanfter und wunderbar modulationsfähiger Klarinettenton war ganz anders als das, was ich zuvor von Plattenaufnahmen der klassischen Konzerte kannte. Nicht zuletzt ihr ist es zu verdanken, dass die Klarinette als Soloinstrument in den Programmen der Konzerthäuser heute einen festen Platz hat. Sabine Meyer habe ich später noch oft gehört, in Solokonzerten wie mit dem Trio di Clarone, in dem sie sich gemeinsam mit ihrem Bruder Wolfgang Meyer und ihrem Ehemann Reiner Wehle der Musik für Bassetthörner widmet. Und natürlich auf ihren brillianten CD-Aufnahmen.


Bald darauf entdeckte ich eine ganz andere Art, auf der Klarinette Musik zu machen, bei einem Besuch eines Klezmerkonzertes mit Giora Feidman im Deutschen Schauspielhaus. Feidman hatte hier 1984 in der Zadek-Inszenierung Ghetto mitgewirkt, die ihn weltweit bekannt machte. In den Jahren darauf spielte er, meist nur von einer Gitarre und einem Bass begleitet, viele Konzerte im Deutschen Schauspielhaus, später dann, mit verschiedenen Programmen und Partnern, in der größeren Laeiszhalle. Seine Konzerte, die nicht nur Sprungbrett vieler junger Talente waren, sondern auch wesentlich zur deutsch-jüdischen Versöhnung beitrugen, beginnen meist mit einem im Pianissimo geblasenen Solo, mit dem Feidman es schafft, sofort alle Aufmerksamkeit auf die Musik zu lenken. Auch die Einladung an die Zuhörer zum Mitsingen oder Mitsummen trägt zu einem besonderen Konzerterlebnis bei. Giora Feidman, der in Buenos Aires geboren wurde und in New York lebt, aber seine Konzerttätigkeit hauptsächlich in Deutschland ausübt, ist wahrscheinlich der bekannteste Klarinettist unserer Zeit und zudem Friedensbotschafter der Vereinten Nationen. Zuletzt konnte ich ihn am 22. August 2023 als 87-jährigen mit dem Programm "Friendship" in St. Nikolai in Elmshorn hören.


Ein Synonym zu seinem Instrument war der Jazzklarinettist Benny Goodman, der 1938 mit seinem Konzert in der Carnegie-Hall den Swing weitweit salonfähig gemacht hat. Er ist 1986 in New York gestorben. Ihn konnte ich leider nicht mehr hören. Sein berühmtes Carnegie-Hall-Konzert von 1938 wird jedoch seit 2006 von Andrej Hermlin und seinem Berliner Swing Dance Orchestra mit dem New Yorker Klarinettisten Dan Levinson neu belebt. So hatte auch ich die Gelegenheit, bei einem Konzert in der Hamburger Laeiszhalle die Swingmusik so jung zu erleben wie das New Yorker Publikum von 1938. Unvergesslich!



In meiner Zeit in Basel lernte ich bei einem Konzert im November 2003 im Tabourettli des Theater Fauteuil die Basler Klezmerband Baith Jaffe kennen, deren Mischung aus traditioneller Klezmermusik und improvisiertem Klezmer-Jazz mich sehr beeindruckt hat. Das Programm nannte sich "Oifn Weg". Sascha Schönhaus wechselte ständig zwischen Klarinette, Saxophon und dem ungarischen Tárogató hin und her, sehr konzentriert und innig, die Augen geschlossen. Sein Bruder David, ein begnadeter Kontrabassist, brachte auf seinem riesigen Instrument wunderbare Soli zustande. Der virtuose Violinist Andreas Wäldele imitierte auf seinem Instrument den Gesang der Vögel. Er erholte sich damals gerade von einem schweren Unfall, weshalb sich die Gruppe Unterstützung aus Russland geholt hatte - zum Glück der Zuhörer: Sergei Kondratiev strahlte mit seiner Balalaika eine Spielfreude aus, die sehr ansteckend war.


Am 19. Oktober 2007 konnte ich im New Yorker Jazzclub Iridium den Jazzklarinettisten Eddie Daniels live erleben. Daniels war schon damals eine Jazzlegende. Nun spielte er nach langer Zeit der Abwesenheit wieder in New York, wo er einmal angefangen hatte. Sein Programm, wenige Wochen zuvor auf CD eingespielt, hieß "Homecoming". Der Abend begann etwa skurril, da der Schlagzeuger sich verspätete. Zunächst waren die Gäste noch mit dem Essen beschäftigt, denn das Iridium ist auch für seine gute Küche bekannt. Irgendwann jedoch wurde das Publikum ungeduldig, und so fingen Daniels und der Pianist zu spielen an. Dieser Anfang war, weil er auch für die Musiker ungewöhnlich war, etwas Besonderes. Die Klarinette konnte sich melodisch voll entfalten, das Piano hielt sich zurück. Die Stimmung in dem kleinen Saal war sehr intim. Die Zuhörer waren nur wenige Meter von den Musikern entfernt, an kleinen Tischen verteilt, tranken Wein oder Bier. Beim dritten oder vierten Stück kam der junge Schlagzeuger dazu, setzte sich, als wäre es so vorgesehen, hin, und die anderen beiden gaben sich in seine Rhythmen. In der Pause stellte sich heraus, dass Eddie Daniels Geburtstag hatte. Es gab Torte für alle und es wurde angestossen. Nach dem Konzert klangen die lebendigen Improvisationen noch lange nach - auf dem langen Fussweg vom Iridium einmal durch den ganzen Central Park bis zur 120. Straße in Harlem, wo ich mein Zimmer hatte.


Von ihrer CD "Souvenirs", die noch heute zu meinen oft gehörten Lieblings-CDs zählt, sowie von ihren Einspielungen der romantischen Klarinettenkonzerte war mir Sharon Kam schon lange ein Begriff, bevor ich am 11. Mai 2010 endlich Gelegenheit hatte, sie bei einem Konzert in der St. Katharinenkirche in Hamburg live zu erleben. Auf dem Programm standen die beiden Quintette von Mozart (KV 581) und Brahms (op. 115), die zusammen selten gespielt werden. Die St. Katharinenkirche war damals mitten in der Restaurierung, mit der auch die Bach-Orgel wiederhergestellt wurde. Zum Konzert war die Kirche notdürftig vom Staub befreit worden, es roch aber überall noch danach. Den Hörgenuss trübte dies zwar nicht, es trug aber ebenfalls dazu bei, dass das Konzert im Gedächtnis blieb. Es handelte sich übrigens um ein Benefizkonzert zugunsten der Kinderchorarbeit in der Hauptkirche.

Sharon Kam habe ich jüngst, am 29. September 2023, mit der anspruchsvollen, sehr farbenreichen Sonate von Max Reger, wiedergehört.


Im "Leeren Beutel", einem Veranstaltungssaal in Regensburg, lernte ich bei einem Konzert am 23. Oktober 2012 gleich zwei Klarinetteninterpreten kennen, die mir bis dahin unbekannt waren, mich aber durch ihre lebendige Art des Musizierens auf ihren tiefen Klarinetten begeisterten. Das Ensemble FisFüz, bestehend aus Annette Maye (Klarinette, Bassklarinette), Gürkan Balkan (Oud) und Murat Coskun (Rahmentrommel), das dem deutsch-türkischen Oriental Jazz einen neuen Stellenwert verliehen hat, feierte damals schon sein 15-jähriges Bestehen. Noch am Konzertabend besorgte ich mir am CD-Stand alle vorhandenen Einspielungen des Ensembles, das seitdem zu meinen Favoriten zählt. Für das farbenreiche Programm "Papillons" hatte das Ensemble zusätzlich den italienischen Jazzklarinettisten Gianluigi Trovesi ins Boot geholt. Sein witzsprühendes Spiel auf der Altklarinette weckte in mir den Wunsch, ein solches Instrument ebenfalls zu spielen.


Einen weiteren wunderbaren Klarinettisten muss ich hier unbedingt erwähnen: David Orlowski. Bereits 1997 gründete der Ausnahmemusiker aus Tübingen sein Trio. Damals waren alle noch Teenager, Orlowski ist auch der jüngste hier genannte Klarinettist. Florian Dohrmann am Kontrabass war sein längster Begleiter, Gitarrist Jens-Uwe Popp kam 2005 hinzu. In dieser Besetzung veröffentlichte das Trio zahlreiche CDs, darunter "Noema" und "Nessiah", und erhielt zweimal den begehrten Klassik-Echo-Preis. Am 3. November 2014 konnte ich die Gruppe in der Komödie Winterhuder Fährhaus erleben. Das Programm widmete sich damals den "Klezmer Kings", den Großen der New Yorker Klezmerszene der 1930er und 1940er Jahre, namentlich Dave Tarras und Naftule Brandwein, deren Wurzeln in der heutigen Ukraine lagen. Mit ihren lebhaften, tänzerischen "Bulgars" und "Freilachs" war diese Musik so mitreissend, dass am Ende das Publikum auch aufstand und tanzte. Das Trio nimmt diese Musik nicht zur Grundlage von Jazzimprovisationen, wie viele andere Klezmermusiker das heute tun, sondern versteht sie ursprünglicher als klassische Weltmusik. Dennoch verbinden Orlowski, Dohrmann und Popp die Musik zu einem ganz eigenen, zeitlosen Klang, der unverwechselbar ist magisch in den Bann zieht. Leider hat sich das Trio 2019 aufgelöst, zuvor aber noch weitere schöne Alben aufgenommen und ein letztes Konzert gegeben - natürlich in der Elbphilharmonie.


Einer der besten und originellsten jungen Klarinettisten ist der Schwede Martin Fröst, den ich unbedingt einmal erleben wollte. Nach der Eröffnung der Hamburger Elbphilharmonie gab er mehrere Kurzkonzerte dort; Karten waren jedoch nicht zu bekommen. So musste ich nach Wilhelmshaven reisen. Dort konnte ich am 31. Januar 2017 in der dortigen Stadthalle das längere und sehr anspruchsvolle Programm erleben, das Fröst gemeinsam mit der renommierten Academy of St. Martin-in-the-Fields zusammengestellt hatte. Er spielte das Clarinet Concerto von Aaron Copland, außerdem aus den Ungarischen Tänzen von Brahms, aus den Rumänischen Volkstänzen von Bartók und einige Klezmer Dances von seinem jüngeren Bruder Göran Fröst. Obwohl die Stücke technisch äußerst schwierig waren, genügte das bloße Klarinettenspiel dem Solisten noch nicht - immer wieder bewegte er sich tänzerisch über die Bühne und nahm die Zuschauer in die Bewegung mit. An solche Momente erinnert man sich lange zurück.

Inzwischen konnte ich Fröst noch einmal in Hamburg erleben. Das Konzert in der Laeiszhalle am 3. November 2021 mit dem Quatuor Ébène zusammen eröffnete das meisterhaft gespielte Klarinettenquintett von Mozart. Das erste Streichquartett von Janáček sorgte für überraschende Harmonien und Rhythmen, und nach der Pause zeigten die fünf Musiker wiederum als Grenzgänger zwischen West- und Osteuropa ihr ganzes Können.


Mit einem Besuch der Hamburger Elbphilharmonie klappte es dann aber doch noch. So angefochten die akkustischen Qualitäten beider Säle auch sein mögen - die besondere Stärke des Konzerthauses liegt in der breiten Programmpalette, die spannende Weltmusik-Festivals einschließt.

Elbphilharmonie Hamburg


Im Rahmen des Festivals "Salam Syria" stand am 18. März 2017 das syrische Fusion-Trio Hewar auf dem Programm, zu dem der außerordentlich sympathische Klarinettist Kinan Azmeh, die lyrische Sopranistin Dima Orso und der Oud-Spieler Issam Raffae gehören. Die Musik dieses Trios kann man nicht erklären, das muss man gehört haben. Die Singstimme wird wie ein Instrument eingesetzt, es ist viel Improvisation dabei, aber auch unisones Zusammenspiel nach orientalischer Tradition. Raffae, der in den USA lebt, hatte allerdings nicht anreisen können, weil er befürchten musste, anschließend wegen der Beschränkungen, die die amerikanische Regierung damals für bestimmte muslimische Staaten in Kraft gesetzt hatte, nicht wieder einreisen zu dürfen. Azmeh und Orso machten aus der Not eine Tugend und luden viele Freunde zum Mitspielen ein, so dass am Ende acht Musiker auf der Bühne standen und ein Konzert gaben, das sicherlich in dieser Besetzung einzigartig war. Unter anderem war der bekannte armenische Musiker Dschiwan Gasparjan auf seinem Duduk zu hören. Kinan Azmeh habe ich noch öfter in der Elbphilharmonie erlebt, so zuletzt, mitten in der Corona-Krise, mit der NDR-Bigband.


Auch im kleinen Saal der Elbphilharmonie habe ich schon oft tolle Konzerte gehört. An einen Abend denke ich besonders gerne zurück. Am 12. Juni 2018 spielte Rolf Kühn, damals 87jährig, mit seiner "Unit" (Johannes Fink, Ronny Graupe und Christian Lillinger) dort eines seiner Konzerte, die sich an die mit dem Jazz-Echo ausgezeichnete CD "Stereo" anlehnten. Der "Meister des Bebop" und Freejazz spielte voller Energie, Virtuosität und mit viel Humor, sein Klarinettenton ist, wie auch auf den CDs, besonders klar und präsent. Die klanglichen Eigenschaften der Elbphilharmonie, ihre besonders "trockene" Akkustik, werden den Musikern dabei entgegen gekommen sein. Noch zwei weitere Alben brachte Kühn nach dem Programm heraus. Leider ist die international bekannte Jazz-Legende inzwischen im Alter von 92 verstorben.